Messengerdienst: "Meine ICQ-Nummer weiß ich noch nach der vierten Weißweinschorle" (2024)

Uh-Oh. Der Messengerdienst mit dem markigen Erinnerungston wird abgeschaltet. Wir erinnern uns: an emotionale Geständnisse, Angst vorm Kellerzimmer und unsere ICQ-Nummer.

Von David Denk, Linda Friese, Lisa Hegemann, Reinhold Hügerich, Laura Sophia Jung, Jens Lubbadeh, Henrik Oerding und Charlotte Walther

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Messengerdienst: "Meine ICQ-Nummer weiß ich noch nach der vierten Weißweinschorle" (1)

Es ist noch nicht allzu lange her, nur anderthalb Jahrzehnte, da gab es noch kein WhatsApp oder Facetime oder gar Smartphones. Wollte man in Echtzeit mit Menschen kommunizieren, konnte man Ende der Neunziger-, Anfang der Nullerjahre höchstens eine SMS verschicken. Aber die waren nicht nur teuer (trotz SMS-Flats), sondern müllten auch den Handyspeicher zu (was soll auch auf ein Megabyte passen?). Und man musste so ein Handy ja auch erst einmal haben. Die Lösung für pubertierende Millennials: ICQ. Mit dem Messengerdienst konnte man auf dem Computer mit Freundinnen und auch Fremden chatten – über den neuesten Schwarm, Schulprobleme und Britney Spears. Am Mittwoch wird ICQ abgeschaltet. Die ZEIT-ONLINE-Redaktion hat in Gedächtnissen und Chatprotokollen nach Erinnerungen gekramt.

"Huhu"

WhatsApp und andere Messenger nutzt man heute nur als Mittel zum Zweck. ICQ war aber nicht nur irgendein Messenger. Es war eine richtige Aktivität, ein Hobby: Nach der Schule konnten wir es kaum abwarten, nach Hause zu kommen. Nur um dann mit genau den Menschen, mit denen wir eh schon den ganzen Tag in der Schule gesessen hatten, zu chatten. Wir hätten uns auch live treffen können. Aber online war das so viel besser. Tröööööt. Die Blume wird grün. UH-OH. "Huhu", schreibt meine beste Freundin.Los geht's. Linda Friese, Redakteurin im Ressort Hochkant

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Leicht angegilbte ICQ-Chat-Ausdrucke

Viele glauben, die Unart des "Hey, na, wie geht's?" wäre mit den Datingapps aufgekommen. Ich habe stapelweise ausgedruckte ICQ-Chats, die das widerlegen. Leicht angegilbt liegen sie meinen pubertären Tagebüchern bei und beweisen, dass diese Frage schon immer der bevorzugte Gesprächseinstieg war. Sie belegen aber auch, dass das, was darauf folgt, keineswegs oberflächliche Nichtigkeiten sein müssen. Mein erster Freund hatte mich mit einer anderen betrogen, aber erst, so versicherte er mir, nachdem ich ihn "zu einem seelischen Frack" (sic!) gemacht hätte. Meine beste Freundin gestand mir ihre Gefühle für meinen Ex-Freund ("man ey, ich hab mir das nicht ausgesucht!"). Und ich wiederum dem besten Freund meines neuen Freundes meine: "Tja, ich finde dich leider nach wie vor toll." So lächerlich das heute erscheint, aufgehoben habe ich es damals, weil es das Ernsteste und Roheste war, was ich an Gespräch erlebt habe. Ermöglicht durch die Distanz zwischen den Bildschirmen und die Verbindung über die ICQ-Blume. Laura Sophia Jung, Redakteurin beim ZEITmagazin ONLINE

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Die unvergessene ICQ-Nummer

336447363. Ich kenne die Telefonnummer meiner Partnerin nicht, ich kann mir ohne meinen Handykalender kaum merken, wann meine Freunde Geburtstag haben, aber meine ICQ-Nummer weiß ich nach der vierten Weißweinschorle nachts um drei. Und das mehr als zehn Jahre nach meinem letzten Log-in. ICQ war lustig, verspielt und all das, was das Internet von heute leider nicht mehr ist. Das kleine, gelbe "I lalala-like you"-Männchen hüpft weiterhin durch meinen Kopf und wahrscheinlich habe ich im mechanischen Gedächtnis immer noch rekordverdächtige Skills in Zoopaloola, Slide a Lama und Rock Paper Scissors. Nun werde ich sie nie wieder anwenden können. Schade. Henrik Oerding, Redakteur im Ressort Digital

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Grüße an Olaf

1996, Rechenzentrum Tübingen. Hier kam man in dieses Internet, von dem plötzlich alle sprachen. Hier erhielt man eine E-Mail-Adresse im handlichen Format zhkdlasoe17639920@uhz.rechenzentrum.universitaet-tuebingen.de. Hier prangten auf Klodeckeln in der Männertoilette "Intel inside"-Aufkleber. Hier standen Unix-Rechner rum, auf denen man mit Mosaic auf wichtige Seiten wie www.playboy.com surfen konnte. Und: Auf ihnen lief auch ICQ, mit dem man in Echtzeit mit anderen Menschen chatten konnte. Ich tat das lange und gerne mit meinem Kumpel Olaf in Münster. Jens Lubbadeh, Redakteur im Ressort Wissen

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Früher war Mit-Fremden-Chatten ein Abenteuer

Als Kind habe ich mich vor dem Keller meines Elternhauses gefürchtet. Auslöser war ein Kinder-Krimi, den ich gesehen habe, bei dem der Mörder seine Opfer in eine Tiefkühltruhe eingesperrt hat, die exakt wie unsere aussah. Doch als ICQ kam, konnte ich es kaum erwarten, mich abends in das kalte Arbeitszimmer meines Vaters zu setzen, seinen aussortierten Rechner zu starten und eine halbe Stunde auf das Laden des Programmes zu warten, um endlich mit meinem neuen Schwarm oder auch mit irgendwelchen Fremden zu chatten. Damals ein Abenteuer – im Nachhinein auch eine etwas gruselige Vorstellung. Charlotte Walther, Hospitantin im Ressort Wissen

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Als man Menschen noch unangekündigt anrufen konnte

Ich kann mich schon deshalb nicht mehr an meine ICQ-Nummer erinnern, weil ich nie eine hatte. Nein, ich bin nicht Jahrgang 1947, es hat mich nur nie interessiert. Die Kulturtechnik des Chattens kam erst in mein Leben, als es sich nicht mehr vermeiden ließ. Und so lustigdas manchmal sein kann: Das persönliche Gespräch ist bis heute mehr mein Ding. Eigentlich. Ich vermisse die Zeiten, in denen man Menschen noch unangekündigt anrufen konnte, ohne dass das dem Gegenüber als tendenziell übergriffig erschienen wäre. Mittlerweile bin ich manchmal selbst so ein Gegenüber, das lieber kurz schreibt, als länger zu sprechen. Wenn ICQ davon der Anfang war, hält sich mein Abschiedsschmerz in Grenzen. David Denk, Redakteur beim ZEITmagazin ONLINE

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Warum man Menschen nie unangekündigt anrufen sollte

Telephobia wird ja gerne der Gen Z zugeschrieben, aber die Angst vorm Telefonieren gab es auch schon früher. In meinem Freundeskreis war ich bekannt dafür, dass Telefongespräche mit mir höchstens anderthalb Minuten dauerten. "Treffen? Ja, okay, wann? Wo? Ja, ich kann, bis dann." ICQ war eine der ersten Möglichkeiten für meine Freundinnen und Freunde, mich auch außerhalb der Schule länger in Gespräche zu verwickeln, wenn wir nicht am selben Ort waren. Und für mich war es die Gelegenheit, das Telefon zu meiden. Win-win! Lisa Hegemann, Ressortleiterin Digital

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Hä?

ICWhat? Reinhold Hügerich, Bildredakteur

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